Die Episkopalkirche in Rom, St. Paul’s within the Walls, feiert am Gründonnerstag die Fusswaschung mit Beteiligung der ganzen Gemeinde. Übergriffig und zu intim oder wertvolle Öffnung eines symbolträchtigen Rituals? Ein Erfahrungsbericht.
André M. Stephany
Es stand ja in der Ausschreibung: „Holy Eucharist with Foot Washing“ und trotzdem war die Form überraschend. Während die Gründonnerstagsfeiern im reformierten Kontext meist das „Letzte Abendmahl“ ins Zentrum stellen und dies oft mit der Feier eines Agape-Mahls verbinden, hat die Gründonnerstags-Liturgie traditionell zwei Schwerpunkte: die Einsetzung des Abendmahls und die Fusswaschung, wie sie im Johannesevangelium im 13. Kapitel erzählt wird.
Auf einem kleinen Tisch an der Seite des Chores stand schon alles bereit: mehrere durchsichtige Plastikschüsseln in der Grösse einer Salatschüssel für eine vierköpfige Familie, Wasserbehälter und ein Stapel kuschelig weich aussehender Handtücher. Warum so viele Schüsseln? Und warum stehen nur zwei Stühle an den Seiten bereit? Bisher kannte ich es, dass Menschen im Voraus zur Feier eingeladen werden, sich von den Priester:innen und Diakon:innen in der Liturgie die Füsse waschen zu lassen. Papst Franziskus verbindet diese Einladungen meist mit einem starken Statement, wenn er jedes Jahr Häftlingen im Gefängnis oder Migrant:innen verschiedener Religionen (2016) am Gründonnerstag die Füsse wäscht.
Auch in der anglikanischen Tradition können durch die Einladung von Menschen Zeichen gesetzt werden. Normalerweise kommen diese Personen dann an der entsprechenden Stelle in der Liturgie, i. d. R. nach der Predigt, nach vorne und setzen sich auf bereitstehende Stühle. Die Priester:innen und Diakon:innen binden sich Schürzen um und waschen einer Person nach der anderen die Füsse und trocknen sie.
Die lange Stille und die Überraschung
So hatte ich es erwartet. Aber in St. Paul’s within the Walls kam es anders. Als nach der Predigt der kleine Tisch in die Mitte gestellt und die zwei bereitstehenden Stühle näher herangerückt wurden, erging die Einladung an die gesamte Gemeinde, sich die Füsse waschen zu lassen und dann der jeweils folgenden Person die Füsse zu waschen. Es folgte ein sehr langer Moment gespannten Schweigens und nichts passierte. Ich war überzeugt, am Ende würde das liturgische Personal frisch gewaschene Füsse haben, aber alle anderen würden so davonlaufen, wie sie gekommen sind. Und tatsächlich wuschen sich zunächst die zwei anwesenden Priester gegenseitig die Füsse, dann noch ein paar Ministrant:innen und eine Person aus dem Kirchenvorstand. Nichts… Banges Warten, vielleicht etwas Fremdschämen, wenn man dem Priester in Soutane, Albe und Messgewand zuschaut, wie er sich die Socken wieder anzieht. Und dann stand eine junge Frau aus der Gemeinde auf und ging nach vorne. Ihr folgte ein Tourist und dann war das Eis gebrochen und es bildete sich eine Schlange, Mitglieder des Kirchenchores mischten sich darunter und die Wasserspiele begannen mit viel Ernst und glücklichen Gesichtern.
Ich selbst konnte mich nicht dazu durchringen, auch nach vorne zu gehen. Dazu würde ich mich gerne auf meine verklemmte deutsche Natur (mit ebenfalls verklemmt-helvetischen Einflüssen) berufen, aber tatsächlich war die Schar derer, die dort vorne Platz nahm, so interkulturell, dass es wohl eher an einer persönlichen Verklemmtheit gelegen haben muss.
Darf man das?
Seitdem frage ich mich nun, wie diese Art der Feier der Fusswaschung praktisch-theologisch zu bewerten ist. Auf der einen Seite sind Leute wie ich, die nicht zum Gottesdienst gekommen wären, wenn sie gewusst hätten, dass es lange Minuten des Bangens um das Scheitern eines Rituals geben würde und Unbehagen aufgrund von zu viel Intimität in ritualisierter Form. Auf der anderen Seite sind die zahlreichen Menschen, die sich mit Freude und mit Ernst auf dieses Ritual einlassen konnten und dort vielleicht eine wichtige spirituelle Erfahrung, eine mit den Sinnen spürbare („tangible“) Erfahrung gemacht haben. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass es viel Gottvertrauen braucht, wenn man das 1:1 in einer Gemeinde in der Schweiz ausprobieren würde, aber vielleicht täusche ich mich auch da. Sicher gibt es da bereits Erfahrungen (gerne in den Kommentaren zu diesem Blog davon berichten).
Gleichzeitig wäre es jedoch auch schade, dieses symbolträchtige und biblisch belegte (!) Ritual für den reformierten Raum einfach mit dem roten „Unmöglich“-Stempel abzutun. Für liturgisch Verantwortliche, die wie ich eher vom Typ „zweifelnder Thomas“ sind, was die Intimitätsbereitschaft ihrer Gemeinden angeht, wären vielleicht etwas niederschwellige Einstiegsrituale ein guter Weg zum Austesten und den Finger in die Wunde zu legen.
Mögliche Gestaltungsformen
In einer katholischen Gemeinde in Deutschland habe ich erlebt, dass das Ritual in eine rituelle Handwaschung für alle Mitfeiernden umgewandelt wurde. Darin sehe ich zwei Stärken: (1) Die Hände anderer zu berühren, ist in unserem zentraleuropäischen Kulturkreis deutlich weniger „intim“ bzw. sogar alltäglich, sodass die Hemmungen deutlich niedriger sind. (2) Während es in Jesu Zeit in seiner geographischen Heimat absolut Sinn machte, die staubigen Füsse von Personen, die Sandalen trugen, beim Eintreten in ein Haus zu waschen, ist diese Notwendigkeit heute bei Socken und Sneakers nicht mehr gleich bei jedem Hausbesuch gegeben. Das Waschen der Hände hingegen ist nach wie vor eine übliche und sinnvolle Praxis.
Einwenden kann man dagegen jedoch: (1) Eine Handwaschung ist im Gegensatz zur Fusswaschung ganz oberflächlich betrachtet der Form nach nicht biblisch. Die ur-reformierten Bemühungen, einen wirklich biblischen Kult zu rekonstruieren, also einen Gottesdienst, der streng biblischen Vorlagen folgt, sind natürlich kritisch zu hinterfragen, aber wenn ein Ritus schon so eindeutig beschrieben wird, ist die Frage nach der Legitimität von drastischen Abweichungen durchaus berechtigt. (2) Schwerer wiegt in meiner persönlichen Einschätzung jedoch ein anderes Argument. Der gesamte Vorgang, dass der Ehrengast, der Rabbi, seinen Schüler:innen die Füsse wäscht, wie es in ihrer Kultur die Diener:innen des Hauses tun würden, ist ein extrem starkes kontra-kulturelles Zeichen. Diesen kontra-kulturellen Aspekt, diese Revolution im Kleinen durch kulturell-liturgisches Glatt-Schleifen abzuschwächen, nimmt dem Ritual einen Teil seines Kerns.
Ist die rituelle Fusswaschung nun zu intim und gar übergriffig oder gerade durch die Intimität ein wertvolles Ritual, das die revolutionäre Botschaft Jesu wie kein anderes Symbol zum Ausdruck bringt: „wer gross sein will unter euch, der soll euer Diener sein“ (Mk 10,43). Was meint ihr?
André Stephany arbeitet als Doktorand und Assistent am Lehrstuhl für Praktische Theologie in Bern und als Lehrbeauftragter für Praktische Theologie in Basel. Gegenwärtig ist er Research Fellow am Pontificio Ateneo Sant’Anselmo in Rom.

Schreiben Sie einen Kommentar