Gott im Gottesdienst?

Gott im Gottesdienst, Nr. 1

Gott im Gottesdienst – Ja, aber nicht so benannt? Wenn im Gottesdienst nicht mehr die Rede von Gott ist, sondern sie durch abstrakte Begriffe wie Liebe oder Hoffnung ersetzt wird, geht es um weit mehr als eine sprachliche Variation.  

Miriam Löhr

Neulich war ich in einem Gottesdienst. So dachte ich zumindest. Ich sass mit dreissig, vierzig anderen Menschen am Sonntagmorgen um zehn in einer kleinen Kirche. Es gab Klaviermusik – eine Art Potpourri von Pop bis Klassik –, begleitet von Wortbeiträgen durch einen Moderator, den ich für den Pfarrer gehalten hatte. Nach einer Weile schaute ich zur Vergewisserung auf das Programmblatt: Hatte ich mich in der Veranstaltung geirrt und war statt in einem Gottesdienst in einem kommentierten Klavierkonzert gelandet? Doch, für das Datum und die Uhrzeit war ein Gottesdienst vermerkt.

Die von mir als «kommentiertes Klavierkonzert» erlebte Veranstaltung war ein Gottesdienst, jedenfalls nach dem Selbstverständnis der veranstaltenden Kirchgemeinde und des Pfarrers, und offensichtlich auch der meisten Anwesenden. Ich konnte nur wenige Kriterien für das feststellen, was für mich einen «Gottesdienst» als sonntagmorgendliche Zusammenkunft ausmacht, abgesehen von Ort, Tag und Uhrzeit. Ich persönlich vermisste liturgische Grundzüge – Eingangs- und Ausgangsspiel, eine Predigt (in welcher gestalterischen Form auch immer), Gebet, Fürbitte und Segen, der aus der feierlichen Unterbrechung des Alltags wieder in diesen entlässt. Über die Vielfalt von Liturgien streiten sich Theolog*innen nicht erst seit heute, und ich bin überzeugt, dass die grosse Vielfalt zwischen reformierter Freiheit und lutherischer Messe einen genuin protestantischen Schatz darstellt.

Mir fehlte jedoch noch etwas auf der sprachlichen Ebene: «Gott» kam nicht vor. Die Rede von Gott im Gottesdienst ist seit der jüngeren Debatte in der Berner Kirche nicht mehr unangefochten, aber wohl mehr oder weniger konsensfähig. Einige Monate später erlebte ich wiederum in einem anderen Gottesdienst (der sehr viel «liturgischer» gestaltet war als der erste), dass Gott nicht zur Sprache kam, weder in Anrede, Gebet oder Lesung. Als wäre sie nicht da. Präsent war hingegen die «Liebe». Ersetzt die Liebe Gott? Oder genauer: Ersetzt eine allgemeine Rede von der Liebe die Anrede des transzendenten Gegenübers im Gottesdienst?

Es gibt viele gute theologische Gründe, Gott nicht in einer personalen Vorstellung nach unseren Wünschen festzuschreiben zu versuchen. Wie problematisch und einseitig das ausfallen kann, haben nicht zuletzt feministische und in der Folge gendersensible Theologien in heilsamer Weise herausgearbeitet. Allgemeine Abstrakta lösen diese bleibende Herausforderung jedoch nicht. Was macht den Gottesdienst aus, wenn Gott nicht zur Sprache kommt, sondern allgemein Liebe oder Hoffnung? Was kennzeichnet das Christliche? Was unterscheidet den Gottesdienst von einer spirituellen Besinnung? Unterscheidet ihn überhaupt etwas? Ich vermute, eine Scheu, «Gott» anzurufen, liegt zum einen in der Vermeidung einer vereinnahmenden personalen Gottesvorstellung, für die wie erwähnt einiges spricht. Zum anderen vermute ich eine Scheu vor der Zumutung des Nicht-Fassbaren, des Transzendenten, des vielleicht ganz Anderen. Aber wenn in den Kirchen nicht mehr die Rede von Gott ist, steigert das nicht unbedingt ihre Plausibilität. Der Verdacht könnte aufkommen: Traut sich die Kirche selbst nicht mehr, Gott anzuklagen, ihn zu bitten, ihr zu danken, in eine Beziehung einzutreten? Kann das liturgische Gebet im Gottesdienst oder der persönliche Dank vorm Abendessen an «die Liebe» gerichtet werden? Sicher, das steht allen frei. Aber tut man das? Gibt es dafür eine innerliche Notwendigkeit? Ich denke: Der Dank, die Klage, die Fürbitte brauchen ein Gegenüber, das konkreter ist als die Liebe oder die Hoffnung an sich. Oder tönt «Gott» zu churchy? Wie eine Zumutung für moderne, aufgeklärte Menschen? Zu hierarchisch gar?

Ich möchte das Gegenteil starkmachen: «Gott» als Gegenüber im Gebet und in der liturgischen Anrede holt ihn aus allgemeinen, fernen Abstrakta in die Nähe, macht ihn ansprechbar, ermöglicht eine Beziehungsaufnahme zu ihr – vorausgesetzt natürlich, man geht von der Existenz Gottes aus. Freilich ist unsere menschliche Gottesrede immer eine wie-Rede, Gott ist nicht Vater, Mutter, Burg oder Schild. Die Vermeidung der Rede von Gott umschifft jedoch nicht die Gefahr der theologisch unzulässigen Festschreibung Gottes, sondern verpasst das kirchliche Proprium, von Gott zu reden. Ich meine, dass Kirche nicht attraktiver oder überzeugender wird, wenn sie sich auf dieses Wagnis nicht (mehr) einlässt, sondern verunklart. Sie würde nicht zuletzt aufgeben, was von ihr zu recht erwartet werden kann: Die Rede von Gott – so unmöglich sie uns Menschen ist, und die Rede zu Gott – nicht nur, aber auch in einer personal gedachten Weise.

Miriam Löhr ist Postdoc am Institut für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Bern.


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