Die Unverfügbarkeit der Präsenz Gottes

Gott im Gottesdienst, Nr. 3

Gottes Präsenz im Gottesdienst ist für uns unverfügbar. Gerade deshalb können wir mit ihr rechnen und sie erfahren.

Miriam Löhr

Matthias Zeindler schreibt in seinem Beitrag zur «Erwartung Gottes» als zentralem Kriterium des Gottesdienstes: «Der Gebrauch des Wortes `Gott´ signalisiert im Gottesdienst, dass man mit der Präsenz derjenigen, die damit bezeichnet wird, rechnet. Zur reformierten Tradition gehört dabei, dass die Präsenz Gottes nicht einfach vorausgesetzt wird. Und dass sie erst recht nicht herstellbar ist. Gott ist frei, um ihre Gegenwart können wir lediglich bitten, wir können sie erhoffen und auf sie warten. Aber auch wenn es im Modus der Erwartung und des Hoffens ist, im Gottesdienst wird mit Gott gerechnet. Und damit sind wir beim massgeblichen Kriterium für einen Gottesdienst: Ein Anlass wird dann und nur dann zum Gottesdienst, wenn in ihm die Präsenz Gottes erwartet wird.» Ich stimme dem zu und nehme zwei gedankliche Linien auf, die Matthias aufeinander bezieht: Die Präsenz Gottes einerseits und ihre Unverfügbarkeit andererseits. Dieser Zusammenhang erscheint zunächst vielleicht widersprüchlich, erweist sich beim zweiten Hinsehen jedoch als plausibel. Ich skizziere ein paar Überlegungen dazu:

Die Präsenz Gottes – im Gottesdienst oder anderswo – erscheint mir wie ein kostbares Geschenk. Wir können über sie nicht verfügen, sie nicht kaufen, nicht irgendwo bestellen, haben auch keinen Anspruch darauf. Niemand kann das. Das Eintreffen der Präsenz Gottes steht nicht in unserer Macht, hängt nicht an der Macht von Amtsträger*innen. Aber vielleicht sind Pfarrer*innen und andere «Kirchenleute» besonders damit betraut, mit der Präsenz Gottes zu rechnen und sie zu erhoffen? Mir erscheint, das erwarten sogar jene, die mit Gott gar nichts zu tun haben wollen: Wenn nicht ich, soll aber die Pfarrerin doch mit Gott rechnen und auf ihn hoffen!

Wir haben uns in den beiden vorherigen Blog-Beiträgen zu «Gott im Gottesdienst» Gedanken über die Präsenz Gottes speziell im Gottesdienst gemacht. In dem Sinne ist Gottesdienst Gottes-Dienst – Menschen suchen an einem besonderen Ort zu einer besonderen Zeit Gottes Gegenwart, um zu danken, zu klagen, zu hoffen und zu bitten. Das heisst aber nicht, dass der menschliche Dienst in einem Kirchbau am Sonntagmorgen Gottes Anwesenheit in spezieller Weise garantieren könnte. Gottes Präsenz bleibt für uns unverfügbar, und ist zugleich als Zusage verlässlich: wo zwei oder drei… Gottes Präsenz ist nicht abhängig von unserem Tun und weht da, wo sie will, manchmal auch überraschend ganz woanders.

Der Gottes-Dienst hat einen dialogischen Grundcharakter: Als kollektive, bei aller gestalterischen Freiheit immer auch «gewordene» Form steht die Anrede Gottes in einer Tradition über Zeiten und Ortsgrenzen hinweg. Das Hoffen auf und Bitten um Gottes Präsenz sind nicht der erste Schritt einer Kontaktaufnahme, sondern reihen sich ein in die vielen unterschiedlichen liturgischen Formen des Festhaltens an der Präsenz Gottes durch die Zeiten hindurch. Die Leerstelle der Unverfügbarkeit mag unbequem und ungewohnt sein, aber wird sie ausgehalten, kann sie Entlastung schaffen: Vom Druck des perfekten Gottesdienstes, der religiöse Erfahrung garantieren will; vom Druck des religiösen Erlebens als eigener Leistung. Die prinzipielle Unverfügbarkeit der Präsenz Gottes bedeutet nicht, in der Not alleingelassen zu werden, sondern mit der Anwesenheit des Gegenübers rechnen und an ihr festhalten zu können.

Fulbert Steffensky schreibt über das Beten,[1] dass es Übung brauche und auch dann eingeübt und vollzogen werden müsse, wenn man mit dem Herzen nicht ganz dabei sei und es vielleicht eher mühsam oder lästig finde. Seinen Sinn hat es nicht in einer religiösen Extase, die ich erleben kann, wann ich es möchte. Seinen Sinn hat es darin, im Ernstfall vorbereitet zu sein. In der Not ad hoc beten, wenn man es nicht irgendwann zuvor erlernt und als Haltung eingeübt hat, fällt schwer. Ich glaube, es ist nicht vermessen, diese ritualtheoretische Grunderkenntnis auch auf die Unverfügbarkeit der Präsenz Gottes im Gottesdienst – also unserem kollektiven und in aller Freiheit gebundenen Beten – zu beziehen: Wenn wir nur Gottesdienst feierten, wenn Gott auf jeden Fall und in der Weise, wie wir es uns wünschen, spürbar wäre, würden wir seine Präsenz wahrscheinlich gar nicht bemerken, weil die Einübung der Unverfügbarkeit fehlte. So gesehen ist die Unverfügbarkeit der Präsenz Gottes die Voraussetzung dafür, sie erleben zu können.

Matthias` Ausführungen aus dem vorherigen Blog-Beitrag halten an dieser Dialektik fest: Es ist angemessen, auf der Präsenz Gottes im Gottesdienst zu beharren, und gleichzeitig zu wissen, dass wir sie nicht herstellen können. Wir können beim bestvorbereitesten Gottesdienst nicht garantieren, dass Gott spürbar zur Türe hereingeweht kommt. Aber das gemeinsame Beharren, Hoffen und Warten sind schon gute Gründe, einen Gottesdienst aufzusuchen. Gerade in diesen Zeiten ist es notwendig zusammenzukommen, auf die Präsenz Gottes zu hoffen und um Frieden zu beten über diejenigen hinaus, die unmittelbar davon überzeugt sind.


[1] Vgl. Steffensky, Fulbert (2001): Gebet: Die Flucht in den Blick der Güte, Zeitschrift für Dialektische Theologie 17, 25-36, bes. 35f.

Miriam Löhr ist Postdoc am Institut für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Bern.

 


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