Die Predigt ist gesprochenes Wort. Eine Rede. Ihre Basis bilden jedoch in den meisten Fällen geschriebene Worte, handschriftlich festgehalten auf einem Stück Papier oder in einen Computer hineingetippt. Ob Papier oder Bildschirm, ob Schreibstift oder Tastatur, macht einen Unterschied für den Predigtschreibprozess sowie für die Präsentation derselben.
Katrin Kusmierz
Fundstück
Für einen Buchbeitrag war ich auf der Suche nach einer Predigt von Dorothee Hoch. Sie war von 1959-1979 Spitalpfarrerin am Frauenspital Basel, daneben Autorin und Supervisorin. Ihr Nachlass befindet sich in der Gosteli-Stiftung, dem Archiv zur Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung. Das Manuskript, das ich aus einer grauen Archivschachtel zog, hat mich in den Bann gezogen. Dorothee Hoch hat es mit der Schreibmaschine geschrieben, für einen Gottesdienst im Basler Münster am 23. Juli 1990.
Das Manuskript trägt sichtliche Gebrauchsspuren, die Ecken sind leicht geknickt. Mit roter und blauer Farbe sind wichtige Passagen unterstrichen. Handschriftliche Notizen und Korrekturen wurden angebracht. Und dort, wo ganze Sätze nicht mehr ihrem selbstkritischen Blick standhielten, hat Dorothee Hoch diese ausgetauscht, neu getippt und mit Klebstreifen frisch befestigt. Ob sie zuerst einen handschriftlichen Text verfasst hat, den sie dann abgeschrieben hat, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Wenn ja, dann hat sie diesen Entwurf jedenfalls nicht ihrem sorgfältig geordneten Nachlass übergeben.
Einblick ins Predigtmanuskript
Ich tippe meine Predigten jeweils in den Computer. Mein Manuskript sieht anders aus – die Schrift ist viel grösser, die Zeilenabstände sind weiter, grosse Sinneinheiten kommen auf eine Seite. Zwischenüberschriften geben mir Orientierung im Erzählstrang. Wie Dorothee Hoch traue ich dem Arbeitsschritt der Überarbeitung und Redaktion viel zu. Ich drucke die Predigt ein erstes Mal aus, lese laut, kürze Sätze, stelle um. Auf dem Papier sehe ich mehr, neue Dinge fallen mir ein. Es braucht diesen Perspektivenwechsel, den Ausdruck, der eine Art der Distanzierung vom vorher geschriebenen ermöglicht. Passagen mit zu vielen Korrekturen drucke ich ebenfalls neu aus, um nicht über mein Gekritzel zu stolpern. Unterstreichungen und Markierungen helfen mir, mich beim Vortrag besser vom Manuskript lösen zu können. Gelegentlich ziert eine Zeichnung den Seitenrand. Und: Nie die Seitenzahlen vergessen! – so der eindringliche Rat meines ehemaligen Ausbildungspfarrers.
Schreibwerkzeuge und die Predigtproduktion
Die Art des Manuskripts hat einen grossen Einfluss auf den Prozess der Predigtproduktion und auf deren Präsentation. Erstaunlicherweise findet dies in der homiletischen Literatur relativ wenig Beachtung.[1] Wie Predigende ihr Manuskript erstellen oder gestalten, ist sicher sehr unterschiedlich. Ob auf Karten, auf Papier, oder auf dem Tablet. Dabei steuern die Werkzeuge, die wir nutzen, um eine Predigt zu schreiben, den Predigtschreibprozess. Die auf der Schreibmaschine getippte Predigt verlangte andere Strategien der Textproduktion. Entweder erfolgte die Komposition des Textes handschriftlich, was ein suchendes Schreiben, Umstellungen, grössere Streichungen ermöglichte. Oder die Predigt musste gedanklich in Aufbau und Struktur schon so vorgedacht sein, dass die Predigende sie in einem Zug durchschreiben konnte. Der Computer wiederum ermöglicht das tastende, suchende Schreiben, bei dem Gedanken und Duktus im Schreiben entwickelt werden. Ebenso muss nicht von A-Z komponiert werden, sondern einzelne Abschnitte können zuerst produziert und dann nach Wunsch neu arrangiert werden.
Das Manuskript und die Rede
Auch für die Präsentation einer Predigt ist es nicht unerheblich, was vor mir auf dem Rednerpult, der Kanzel liegt, oder was ich – frei stehend – in den Händen halte. Zunächst einmal muss die Gestaltung des Manuskripts gewährleisten, dass die Predigenden nicht von diesem gefangen sind, sondern es ihnen ermöglicht, den Text gegenwärtig zu halten und sich gleichzeitig den Hörenden ungehindert zuzuwenden. Dazu helfen eine grosse Schrift, ebensolche Zeilenabstände, viele Abschnitte, Markierungen im Text. Das ist sowohl auf einem elektronischen Träger (Tablet) möglich wie auch auf Papier. Mir persönlich helfen die Techniken des Kritzelns, Unterstreichens, Einkreisens, Zeichnens, mir den Text wieder zu eigen zu machen, nachdem ich ihn zuvor aus mir herausgesetzt und fixiert hatte.
Die Art des Manuskripts beeinflusst auch die Gesamterscheinung und Wahrnehmung der Predigenden. Thomas Kabel beispielsweise kritisiert die Dominanz des „Ringbuches“, das den Eindruck erweckt, als sei es hauptsächlich dazu da, den Sprechenden Halt zu geben. Es trage damit zu einer „Schwächung der liturgischen Präsenz“ bei.[2] Ob das wirklich in allen Fällen gilt, sei zunächst einmal dahingestellt. Aber die Frage bleibt, wie die Form und Präsenz des „Gottesdienst-Drehbuchs“ die Präsenz der Liturg:in prägt. Und wenn der Ordner nicht mehr ein Ordner ist, sondern ein schwarzes Tablet im A5-Format? Wenn das Blättern dem Tippen auf den Seitenrand oder dem Wischen weicht? Macht dies einen Unterschied? Anfänglich war ich irritiert, wenn im Gottesdienst jemand ein Tablet in den Händen hielt, aber wahrscheinlich ist dies eher eine Frage der Sehgewohnheit. Gleichzeitig wäre es aber lohnenswert genauer zu analysieren, wie das Tablet den Vortrag und die Gestik beeinflusst.
Verbindung über Raum und Zeit
Was bei elektronisch erstellten und gespeicherten Predigten nicht mehr möglich sein wird: Als Forschende im Archiv stehen und genau dasjenige Manuskript in den Händen zu halten, das die Predigerin vor sich auf der Kanzel liegen hatte. Wenn ich Predigten von heute lese und analysiere, dann öffne ich eine unpersönliche Datei, die mir die letzten Bearbeitungsspuren verschweigt. Und ob die Verfasser:in wohl gewissenhaft auch die Reaktionen auf die Predigt, die sie per Email oder Social Media erreichen, der Predigt beiordnen würde, so wie es Dorothee Hoch mit den Rückmeldungen per Brief und Postkarte getan hat?
Das getippte Manuskript, das ich in ihrem Nachlass fand, übt jedenfalls eine besondere Faszination auf mich aus. Es stellt eine Verbindung zwischen der Autorin und mir her. Es gewährt mir Einblick in ihre Predigtwerkstatt und ihr Predigtwerkzeug (roter Stift, blauer Stift, Kugelschreiber, Klebstreifen, Schere, Papier). Und: wir beide, sie und ich haben uns über dasselbe Stück Papier gebeugt – ein Stück Papier, das den Graben von Raum und Zeit, der uns trennt, ein Stück weit zu überbrücken vermag.
[1] Annette Cornelia Müller hat sich – als eine der ersten – eingehend mit dem Predigtschreibprozess beschäftigt und dazu Pfarrpersonen befragt. Allerdings geht auch sie nur sehr am Rande darauf ein, mit welchen konkreten Werkzeugen Pfarrpersonen arbeiten. Annette Cornelia Müller, Predigt schreiben. Prozess und Strategien der homiletischen Komposition, Leipzig 2014.
[2] Thomas Kabel, Handbuch Liturgische Präsenz. Zur praktischen Inszenierung des Gottesdienstes, Bd. 1, Gütersloh 2002, 27f.
Dr. Katrin Kusmierz ist Dozentin und Wiss. Geschäftsführerin des Kompetenzzentrum Liturgik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern.
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