Predigen online – Ein Schreibgespräch, Nr. 1
Wenn die Predigt online geht, verändert sie sich unweigerlich. Manche – nicht ganz neue – Problemlagen verschärfen sich dabei. Umso dringlicher wird die Frage, was Predigt auszeichnet und wo ihre Grenzen sind.
David Plüss
Wenn die Predigt online geht, verliert sie ihre Erkennbarkeit. Ihre Konturen werden undeutlich, lösen sich auf. Die Predigt pluralisiert sich und wird überlagert von anderen Gattungen religiöser Rede und Kommunikation. Die Frage wird dringlicher: Wann ist Predigt? Was zeichnet die Predigt aus? Wo sind die Grenzen zu ziehen, um das Proprium der Predigt nicht preiszugeben? Oder gilt es umgekehrt, dieses Schlingern, diese Verundeutlichung und Vervielfältigung gerade zuzulassen oder gar voranzutreiben, damit die Predigt neue Kraft und Dynamik erhält, um in unserer Gegenwart als verständlich und relevant gehört und erfahren zu werden?
In der Berner Kirche gehen die Kirchgänger:innen «z Predig». Die Predigt steht für den Gottesdienst insgesamt. Sie steht im Zentrum desselben. Von ihr wird viel erwartet, was die Fallhöhe steigert und zu Enttäuschungen führt, aber auch zu inspirierenden und bewegenden Hörerfahrungen. Zugleich ist allen Gottesdienstbesuchenden klar: Hier wird nicht nur gepredigt. Hier wird auch musiziert, begrüsst, gesungen, gebetet, informiert und gesegnet. Aber eben auch gepredigt. Die Predigt ist zentral, allerdings dramaturgisch und spirituell gerahmt von weiteren liturgischen Handlungen. Eine nackte Predigt am Sonntagmorgen in einem Kirchenraum vor versammelter Gemeinde wäre undenkbar. Sie würde nicht als Gottesdienst – oder eben: als «Predig» – durchgehen.
Wechselt das Setting oder das Medium der Predigt, kommt die Evidenz der liturgischen Rahmung ins Wanken. So ist die Isolierung der Predigt kein neues Phänomen. Schon lange werden Predigten aufgeschrieben, um gelesen, im stillen Kämmerlein meditiert oder in verschiedenen Kontexten verwendet zu werden. Bereits im Neuen Testament finden sich viele Predigten, die Jesus, Paulus oder Petrus zugeschrieben werden. Von den Kirchenvätern über die Reformatoren bis in die Gegenwart stellen schriftliche Predigten eine wichtige literarische Gattung dar.
Auch die längst etablierte Radiopredigt stellt eine Isolierung der Predigt dar. Ihr fehlt der gottesdienstliche Rahmen und mit diesem die Gebete und Gesänge, die Stille, die Fürbitten und der Segen. Und es fehlt die Gemeinde. Indes, so liesse sich einwenden, sind nicht wir die Gemeinde, die wir uns die Predigt anhören? Ja und nein: Ja, denn die Gemeinde bilden all jene, die auf Gottes Wort hören und sich vom Evangelium bewegen lassen. Nein, denn die vielen, die irgendwo in ihren Küchen sitzen und ihr Frühstücksei aufschlagen oder im Schlafzimmer Wäsche bügeln oder noch etwas dämmrig im Bett liegen, bilden keine Gemeinde, die den Gottesdienst trägt und die Predigerin mit dem Dienst am Gotteswort beauftragt (im Sinne des verbi divini ministerium).
Diese Problemlage verschärft sich, wenn Predigten als Podcast aufgezeichnet – als Audio- oder Video-Datei – und online gestellt werden. Während die Radiopredigt zwar liturgie- und ortlos ist, aber zur Gottesdienstzeit am Sonntagmorgen gesendet wird, ist die Online-Predigt zusätzlich zeitlos. Sie stellt ein abstraktes, nacktes Gebilde dar, losgelöst von Zeit und Raum und parochialen Kontexten.
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Prof. Dr. David Plüss, lehrt Homiletik, Liturgik und Kirchentheorie an der Theologischen Fakultät der Universität Bern.
Grafik: Valentin Plüss
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