Christi Himmelfahrt, Auffahrt, steht vor der Tür. Was, zum Himmel, sollen wir singen? Fragen sich vielleicht jene, die Gottesdienste für diesen Feiertag vorbereiten. Und was predigen? Katrin Kusmierz begibt sich auf Spurensuche im Reformierten Gesangbuch.
Katrin Kusmierz
Das Reformierte Gesangbuch der deutschsprachigen Schweiz bietet zu Himmelfahrt (oder Auffahrt) eine überraschend schmale Auswahl an Liedern: drei Strophenlieder, zwei Leitverse. Im Inhaltsverzeichnis wird zusätzlich auf zwei weitere Lieder aus anderen Gesangbuchkapiteln verwiesen, die einen Bezug zum Feiertag ermöglichen. Diese beschränkte Auswahl bietet dennoch Möglichkeiten der Deutung des Festes Himmelfahrt, selbstredend nicht abschliessend.
In seinem Kommentar zum Gesangbuch („Singen – Feiern – Glauben“) erklärt Andreas Marti die eingeschränkte Anzahl von Liedern u.a. mit theologischen Schwierigkeiten, die sich um diesen Feiertag ranken und sich auch in älteren Liedern zeigen.[1] Die Ausgangslage habe auch dazu geführt, so Marti, dass es kaum Neukompositionen für das Fest der Auffahrt gibt.
Himmelfahrt ist ein Übergangsfest, ein rite de passage. Jesus ist nicht mehr in derselben Weise da, wie er es für die Jünger:innen zuvor war. Er ist zum „Himmel“ hinaufgefahren, entrückt, erhöht, emporgehoben, ihrem Blick entzogen. Die Erzählungen über die Himmelfahrt in Lukas 24, 50-53 und Apg 1, 9-14 setzen einen Schlusspunkt unter die Zeit der körperlichen Präsenz Jesu auf Erden und weisen ihm einen neuen Ort zu. Sie versucht damit die Lücke zu deuten, die nach seinem Tod entstanden ist. Wie Präsenz und Absenz des Auferstandenen in der Folge zu verstehen sind, hat unter Theolog:innen immer wieder zu Kontroversen geführt, nicht zuletzt im Abendmahlsstreit zwischen reformierten und lutherischen Kirchen.
Wo liegt denn nun eigentlich die Schwierigkeit?
In Lied 491 heisst es: „Gen Himmel aufgefahren ist, Halleluja, der Ehrenkönig Jesus Christ, Halleluja.“ Und in Strophe 2 „Er sitzt zu Gottes rechter Hand, Halleluja, herrscht über Himmel und alle Land, Hallelujah.“ Oder in 492: „Jesus herrscht als König. Alles wird ihm untertänig; alles legt ihm Gott zu Fuss. Jede Zunge soll bekennen, Jesus sei der Herr zu nennen, dem man Ehre geben muss. Fürstentümer und Gewalten, Mächte, die die Thronwacht halten, geben ihm die Herrlichkeit. Alle Herrschaft dort im Himmel, hier im irdischen Getümmel ist zu seinem Dienst bereit.“
Solche herrschaftlichen Christusbilder bereiten nicht nur kirchenfernen oder –kritischen Menschen Mühe. Auch Gottesdienstgewohnten, oder –gestaltenden stellen sich hier Fragen. Wie ist diese Herrschaft zu deuten? Soll wirklich jede Zunge bekennen und untertan werden? Haftet an diesen Bildern nicht ein christlicher Triumphalismus, dessen problematische Folgen Jahrhunderte vor uns mitgeprägt haben und von dem wir uns – zu Recht – verabschiedet haben, auch im Kontext einer kulturell und religiös pluralen Gesellschaft? Und lassen sich die Bilder, die wir mit „Herrschern“ verbinden mit Christus in Einklang bringen? Der erdennahe, konkrete Jesus, der predigt, heilt, streitet und provoziert, leidet und solidarisch ist mit den Schwachen, der Jesus, der uns als Bruder nahe ist, ist uns weit aus vertrauter geworden als Jesus der Herrschende, der in Himmelsferne zur Rechten Gottes sitzt.
Ob ich die beiden zitierten Lieder im Gottesdienst singen würde? Eher nicht. Oder nicht ohne den Versuch, sie in ihren theologischen Kontext einzubetten. Als Alternative bietet sich die Nummer 493 an, zur Melodie eines bekannten Luther-Liedes (RG 273). Es hält beide Dimensionen zusammen, spricht nicht nur von der Königsherrschaft, mit der Jesus gekrönt wird, sondern auch vom dienenden Christus. Beides gehört untrennbar zusammen: „An Christi Himmelfahrt schau an, wie Gott den will erhöhen, der als ein Knecht sich bücken kann, den Nächsten beizustehen. Seid so gesinnt, wie Christus war: Er hat aus Liebe ganz und gar sich dienend hingegeben.“ Diese erste Strophe ist eine Neudichtung des Basler Pfarrers Hans Bernoulli aus den Jahren 1990 und 1992, ebenso die vierte Strophe. Diese beiden rahmen die Strophen zwei (aus dem Jahr 1728), die die „Abwärtsbewegung“ Christi, die im Tod endet, weiterführt und drei (1841), die dann dem Erhöhten Christus huldigt.
Mit dem neuen Text legt das Lied eine Spur. Es hält den irdischen und den erhöhten Christus zusammen. Der irdische hilft zu verstehen, um welche Art von „Herrschaft“ es geht. Herrscher ist derjenige, der dient, der sich klein macht und sich hinunter bückt, um dem Nächsten zu dienen. Damit stellt sich das Lied in den Resonanzraum des Christus-Hymnus im Philipperbrief (2, 5-11), der dieser Doppelbewegung zwischen Himmel und Erde Worte und Rhythmus verleiht.
Die vierte Strophe des Liedes nimmt nun die Singenden selbst in den Blick und bittet um den Geist, dass sie „… folgen deinem Vorbild nach, im Dienst und in der Liebe wach.“ Jetzt ist die Gemeinde gefragt, Jesus im Jetzt und Heute Gestalt zu geben, ihn und seine Sache präsent zu halten.
Folgt man den anderen im Inhaltsverzeichnis vorgeschlagenen Liedern ergeben sich weitere Fährten: „Singt mit froher Stimm, Völker, jauchzet ihm; denn er ist der Herr, reich an Macht und Ehr“ heisst es in Lied Nr. 33, einer Nachdichtung von Psalm 47. Die beiden ersten Strophen, die ursprünglich von Johannes Stapfer (1775) stammen und wiederum durch Hans Bernoulli überarbeitet wurden, bleiben im Duktus des Lobes, das dem „Herrn der Welt und Siegeshelden“ gebührt. Strophe drei, für das Gesangbuch von 1952 geschrieben, präzisiert: „Völker ohne Zahl lädst du ein zum Mahl. Die sie knechten hier, beugen sich vor dir, geben Schild und Wehr, ihre Rüstung her … Deinem Friedensreich kommt kein andres gleich.“
In der Rede von Christus als dem Herrscher steckt eine gehörige Portion Herrschaftskritik. Auch diejenigen, die andere unterdrücken und knechten, müssen sich irgendwann dieser anderen Art von Macht beugen, die sich im dienenden, liebenden, solidarischen Christus zeigt. Es ist diese Macht, der das Lob gilt – oder mit Gerhard Teerstegen gesungen: „Ich bete an, die Macht der Liebe, die sich in Jesu offenbart“ (RG Nr. 662). Hier wird Anbetung zur kontrafaktischen Gegenrede, die daran festhält, dass das Reich des Friedens besteht und widersteht.
Der Spur der Lieder folgend, kommt Christus an Himmelfahrt in den Blick als erdverbundener Naher, aber gleichzeitig als jener, der sich von den Verhältnissen auf der Welt nicht binden lässt, sondern sie durchbricht und durchkreuzt. Zur „Rechten Gottes sitzend“ hält er den Himmel offen – Gottesreich und Erdenreich bleiben miteinander verschränkt, Zukunft und Gegenwart ebenso.
Das bringen Kurt Marti und Rolf Schweizer zum Ausdruck – im letzten Lied, das für Himmelfahrt vorgeschlagen ist, und das gleichzeitig das vorletzte Lied im Gesangbuch ist (RG 867):
«Der Himmel, der kommt, das ist der kommende Herr,
wenn die Herren der Erde gegangen.
Der Himmel, der kommt, das ist die Welt ohne Leid,
wo Gewalttat und Elend besiegt sind.
Der Himmel, der kommt, grüsst schon die Erde, die ist,
wenn die Liebe das Leben verändert.»
Ganz am Ende des Gesangbuchs übrigens ein einfacher Leitvers: „Christus, komm und bring uns deinen Frieden“ (RG 868).
[1] Andreas Marti, Singen – Feiern – Glauben. Hymnologisches, Liturgisches und Theologisches zum Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz, Basel 2001, 83-84.
Dr. Katrin Kusmierz, Wiss. Geschäftsführerin Kompetenzzentrum Liturgik
Schreiben Sie einen Kommentar