Beteiligung durch Einkleidung oder: Vestimentäre Gottesdienstpraktiken

Beteiligung durch Einkleidung oder: Vestimentäre Gottesdienstpraktiken

Kleider machen Leute. Und liturgische Kleider machen Gemeindeglieder zu Beteiligten. Oder genauer: zu Beauftragten. Dies wurde mir beim Besuch eines Abendmahlsgottesdienstes in der St. Giles’ Cathedral in Edinburgh deutlich. Was ich erlebt habe und was mir dabei aufgegangen ist, davon handelt dieser Blog.

David Plüss

(https://www.burnsandbeyond.com/events/the-choir-of-st-giles-cathedral/)

 

Kirchgang

Die St. Giles’ Cathedral findet sich im touristischen Zentrum Edinburghs. Von meiner Unterkunft in der Nähe der Dean Gardens benötige ich eine halbe Stunde für den Kirchgang. Eine kurzweilige und teils spektakuläre Strecke am Fuss des Castle Hill entlang. Ich fürchte, nicht angemessen gekleidet zu sein, da ich im Anschluss an den Gottesdienst zu den Highland Games nach Fort Matilda, einem traditionellen Volksfest an der Westküste mit Dudelsackmusik, Tanz und Steinstossen fahre und dafür lockere Kleidung mit Turnschuhen trage.

Die Stadt ist noch leer. Nur in den Princes Street Gardens sind erste Tourist:innengruppen unterwegs. Auch die Royal Mile ist ungewöhnlich ruhig. Einige Gestalten streben der Kathedrale zu.

Türsteher

Die Kirchgänger:innen werden von zwei festlich gekleideten Männern begrüsst und mit der Liturgie der bevorstehenden Feier in Form einer kopierten Broschüre versehen. Der eine trägt traditionelle Schottenkleidung mit plissiertem Rock, alles in hellem grün. Er wird später mit anderen die Kollekte einsammeln und bei der Austeilung des Abendmahls helfen. Im Liturgieblatt wird er als Steward bezeichnet. Der zweite, der mir mehr auf die Schuhe als ins Gesicht schaut, trägt erkennbar liturgische Kleidung: einen schwarzen Anzug mit weissem Hemd und schwarzer Krawatte, darüber einen liturgischen Mantel in schwarz und rot. Ich vermutete erst, es wäre der für die Feier verantwortliche Pfarrer. Sigrist und Pfarrer zur Begrüssung an der Kirchentür, das kenne ich aus reformierten Schweizer Gemeinden. Aber ich lag falsch. Er spielte in der Liturgie keine Vorsteherrolle, wohl aber die des verantwortlichen Sigristen, des Zeremonienmeisters in allen liturgie-praktischen Belangen, vor allem beim Abendmahl. Es sind zwei Frauen, die die liturgische Leitung innehaben, die eine als Liturgin und Predigerin und die andere als Lektorin.

Raumatmosphären und Klangwelten

Der Kirchenraum strahlt eine einladende Atmosphäre aus. Er ist altehrwürdig und sorgfältig renoviert. Ich bin erst überrascht, wie wenig Menschen sich in der wichtigsten Kirche der Church of Scotland am Sonntagmorgen einfinden. Aber auch hier lag ich falsch. Auf der anderen Seite des massiven, altarförmigen Abendmahlstisches und in den Seitenschiffen haben sich weitere Gottesdienstbesuchende platziert. Es erklingt Orgelmusik, erst leise und verhalten. Die Musik unterstützt das Ankommen, die Besinnung. Nach längerer Stille ertönt Chorgesang, a cappella, kräftig und festlich. Ein Gesang auf der Schwelle, hinten in der Kirche, ich kann die Singenden von meinem Platz aus nicht sehen. Nach kurzer Pause setzt die Orgel kräftig ein, die Gemeinde erhebt sich und singt gemeinsam mit dem Chor das Eingangslied, während der Chor einzieht, gefolgt von den Liturginnen und Liturgen.

Liturgische Kleidungspraktiken

Was mich beeindruckt und leicht verwirrt, ist die Vielzahl liturgischer Akteur:innen, die einziehen, in unterschiedlichen liturgischen Gewändern: Ich sehe blaue Collarhemden mit weissen Krägen, schwarze Talare mit Beffchen, Umhänge in schwarz und rot, Stolen mit der aktuellen Farbe des Kirchenjahres. Selbst die Mitglieder des Chores tragen knöchellange violette Kleider. Der Chor umfasst über zwanzig Mitglieder. Aber auch die liturgischen Funktionsträger sind zahlreich. Sie begrüssen an der Kirchentür und händigen die Liturgie aus, sie eröffnen, lesen und beten, sie tragen Brot und Wein herein und stellen sie feierlich auf den Abendmahlstisch, sie sammeln die Kollekte ein und bringen sie dankend Gott dar, sie setzen das Abendmahl ein und teilen es aus, sie singen und musizieren. Fast alle, die aktiv mitwirken, tragen liturgische Kleidung. Dadurch wird für mich als mit der hiesigen Liturgie gänzlich Unvertrautem rasch klar, wer den Gottesdienst aktiv mitgestaltet und dafür Verantwortung trägt. Auch wenn mich die Vielfalt der Gewänder verwirrt und ich deren Codes noch nicht zu lesen vermag, strahlen die liturgischen Kleider eine Würde und einen Glanz aus, der sogar oder gerade einen in helvetisch-reformierter Kargheit und Formlosigkeit Sozialisierten wie mich zu beeindrucken, ja, zu begeistern vermag.

Liturgisches Ensemble

Die liturgische Einkleidung, die ich in der St. Giles’ Cathedral beobachtet und erlebt habe, bewirkt ganz Unterschiedliches. Sie hebt den Gottesdienst ab von der Formlosigkeit, Blässe und Beliebigkeit des Alltags. Gottesdienst kommt als formschöne und farbenfrohe Feier zur Aufführung. Vor allem aber: Dadurch, dass nicht nur – wenn überhaupt! – die Pfarrerin ein liturgisches Kleid trägt wie bei uns, sondern fast ausnahmslos alle aktiv Mitwirkenden, ist sie keine Solistin, sondern Prima inter pares und als solche Teil des liturgischen Ensembles, in dem alle ihre vertraute und eingespielte Rolle spielen. Kleidung, so wird mir deutlich, bedeutet mehr als aktive Beteiligung. Sie bedeutet Auftrag, Dienst in je besonderer Weise. Die besondere liturgische Kleidung trägt bei zur starken Performanz eines selbstbewussten liturgischen Ensembles. Wer liturgische Kleidung trägt, gehört dazu und trägt bei.  

 

 

 

 

Prof. Dr. David Plüss, lehrt Homiletik, Liturgik und Kirchentheorie an der Theologischen Fakultät der Universität Bern und Co-Leiter des Kompetenzzentrums Liturgik.

 

Foto: Chor der St. Giles Cathedral von Edinburgh(URL: https://www.burnsandbeyond.com/events/the-choir-of-st-giles-cathedral/)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert