Das Kollarhemd ist in

Neue Mode auf dem reformierten Laufsteg

Seit Corona und der Vollversammlung des Ökumenischen Rates in Karlsruhe verbreitet es sich zunehmend in reformierten Kreisen: das Kollarhemd. Grund für ein paar Gedanken zu diesem aussergewöhnlichen Kleidungsstück.

André Stephany  

Südafrikanisches Geiskraut, die Haargurke, der rundblättrige Baumwürger und die falsche Mimose haben etwas gemeinsam, sie finden sich auf einer Liste umweltschädlicher invasiver Arten in der Schweiz.[1] Sie sind gebietsfremd und verbreiten sich invasiv. Das Kollarhemd, das im Englischen die sprechende informelle Bezeichnung dog collar trägt, zählt im reformierten Kontext bestimmt auch zu den gebietsfremden Gewächsen, bzw. Modeerscheinungen, doch die Fragen sind: 1., ist es eine schädliche invasive Spezies, und, 2., ist eine Rodung angesagt. Dazu ein paar Überlegungen.

In meinem Studium, das noch nicht allzu weit zurückliegt, ging es selten um klerikale Mode, doch wenn das Thema einmal aufkam, dann war das Maximum der Gefühle und der Gipfel der hitzigen Debatte, ob man zum Gottesdienst einen Talar tragen würde oder nicht. Erst gegen Ende des Studiums kam bei den nicht Barttragenden die Frage dazu, ob ein Bäffchen wirklich noch Sinn mache und vor allem für Kolleginnen nicht eine Alternative gefunden werden müsse.

Eine quantitativ nicht nachgewiesene Beobachtung ist, dass in den letzten fünf Jahren mehr und mehr Kollarhemden im reformierten Gehege gesichtet wurden. Eine auffällige Zunahme ist verbunden mit der Coronapandemie und mehr online-Formaten. Für diese wählten einige online Betende oder Predigende das Collarhemd als liturgisches Gewand, oder vielleicht als legerere Variante des Talars. Auch auf Social Media-Profilen lässt sich das Kollarhemd öfters beobachten. Im Nachgang zur Pandemie fand es sich bei Pfarrpersonen in Interviews in Lokalzeitungen, bei ökumenischen Feiern, unter dem Talar versteckt und sich beim Kirchenkaffee offenbarend, bei Besuchen im Ausland bei ökumenischen Partnerkirchen oder in wenigen Fällen gibt es Meldungen, die das Kollarhemd im Alltag als neue Amtstracht beobachtet haben wollen. Eine Ansammlung in freier Wildbahn auftretender reformierter Kollarhemden fand sich an der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe und im Nachgang dazu. Dort wurden Kollarhemden in den üblichen r.-katholischen, alt-/christ-katholischen und anglikanischen Herden gesichtet, auch – wie schon lange üblich – bei Lutheraner*innen aus anderen Ländern, aber dieses Mal auch gehäuft bei lutherischen, unierten und reformierten Vertreter*innen aus Deutschland und der Schweiz. Deutsche EKD-Bischöf*innen trugen sogar violette Kollarhemden, was den neuesten Import einer Kollar-sorte darstellt, wobei sich auch herumgesprochen hat, dass die schwedische lutherische Kirche besonders moderne Variationen für den Laufsteg, besonders für Kolleginnen, bereithält.

Es ist also da, das Kollarhemd. In Partnerkirchen ist es das schon länger, auch in reformierten. Die ansonsten in Modefragen eigentlich auch eher zurückhaltende Church of Scotland hat den gleichen Prozess von vereinzeltem Auftreten des Kollarhemds bis zu seiner weiten Verbreitung und sogar Normwerdung im Schnelldurchlauf erlebt. Dort geht es so weit, dass der Moderator der Church of Scotland, Iain Greenshields, – das entspräche unserer Präsidentin Rita Famos – nicht nur bei der Krönungszeremonie, sondern bei vielen öffentlichen Auftritten mit oder ohne liturgischen Anlässen Soutane mit Pektorale und darunter Kollarhemd trägt.[2]

Die Vorteile eines Kollarhemds sind schon oft ins Feld geführt worden:

  • Es erhöht die Sichtbarkeit von Kirche im Alltag und ist somit auch öffentliches Zeugnis
  • Es erhöht die Ansprechbarkeit von Pfarrpersonen, die sich damit auf der Strasse als offene Ohren ausweisen (ein Plus für Seelsorgebeziehungen)
  • Es weist eine klare Rolle zu, was besonders bei Trauungen und Beerdigungen, wenn die Pfarrperson viele nicht kennt, hilfreich sein kann, da sie nicht mit Cousin Tim oder Grossnichte Emma verwechselt wird, sondern klar als Pfarrperson erkennbar ist
  • Einige nehmen das Kollarhemd als elegant aber doch gleichzeitig dezent war und dank Slimfit und körperbetonten Versionen finden es besonders jüngere Theolog*innen auch noch cooler als Hemd und Krawatte oder schwarzer Blaser mit weisser Bluse.

Es scheint, vor allem Jüngere hätten ein unverkrampfteres Verhältnis dazu, aber nicht nur.

Die Fragen sind nun, was könnte neben diesen genannten Gründen reformierte Pfarrpersonen motivieren, Kollarhemden zu tragen, und wie sieht das mit der Theologie aus?

Der bei manchen vorhandene Wunsch, sich öffentlich durch Kleidung als Pfarrperson auszuweisen ist ein spannendes Phänomen, das hier nicht in Tiefe behandelt werden kann, aber auch nicht ganz ohne Spekulationen übergangen werden soll.

Gibt es vielleicht wieder vermehrt einen Wunsch nach dem Anders sein, ganz im Sinne von Manfred Josuttis („Der Pfarrer ist anders“)?[3]

Hat die zunehmende „Professionalisierung“[4] des Pfarrberufes, die VerJobbung mit Stundenzählen und Feierabend eine neue Sehnsucht nach einem geistlichen Dasein geweckt?

Es bleibt im Bereich der Spekulationen.

Nicht so spekulativ steht es um die Theologie. Das Kollarhemd ist ein Weihesymbol, d.h. ein Symbol der ontologischen Andersartigkeit derer, die es tragen. Das unterscheidet es vom Talar, der funktional als liturgisches Gewand zum Einsatz kommt und – konsequenterweise – in den meisten deutschen Landeskirchen deshalb auch von Prädikant:innen und Laienpredigenden getragen werden kann, wenn sie Gottesdienste leiten. Will man ihn als Standestracht deuten, so wäre er in seiner Form ein Gelehrtengewand, aber keine Soutane, also kein geistliches Gewand. Das Kollarhemd hingegen schon.

Nun ist die Theologie im schweizerischen Kontext recht klar: die Pfarrperson bleibt allezeit, pre- und post-Ordination Teil der Gemeinde, welche sie beauftragt. Nach dem Segen am Ende eines Gottesdienstes tritt die Pfarrperson zum Ausgangsspiel wieder in die Bankreihen mit der Gemeinde, gäbe es Lai:innen, wären die Pfarrpersonen Teil davon.

Theologisch konsequent müsste im reformierten Umfeld auf das Kollarhemd verzichtet werden.

Betrachtet man die aktuelle Praxis fällt aber auf, dass an vielen Stellen amtstheologisch nicht mehr konsequent gehandelt wird. Wenige Beispiele: Pfarrpersonen behalten ihren Pfarrer:innen-Titel auch nach der Pensionierung. In Gottesdiensten beobachtet man in vielen Regionen der Schweiz nach wie vor One-Man/Woman/Person-Shows, statt von vielen getragene Feiern. Im Gespräch mit Pfarrpersonen hört man häufig, dass sie auch dann, wenn sie nicht im Dienst sind, in ihren Gemeinden eine ausgesonderte Rolle haben, die sie nie ablegen können. Pfarrpersonen, die der Kirche mal den Rücken kehren wollten, berichten ab und zu, wie sie emotional doch immer mit der Kirche verbunden bleiben, als wäre bei der Ordination ein unsichtbares Band geknüpft worden.

Subjektive Eindrücke von mir und mir zugetragen.

Dieser Blog endet nicht mit einer Antwort, sondern mit drei möglichen Wegen des „Wie-Weiters“, denn ohne über die Diskrepanz zwischen der Theologie der Kirche, der Theologie des Hemdes und der Theologie von reformierten Herden im Kollarhemd zu sprechen, ist es ein unbefriedigender Zustand. Also roden oder das invasive Gewächs heimisch werden lassen?

Wie weiter:

Möglichkeit 1: Das Kollarhemd sollte als gebietsfremd und invasiv-schädlich abgeschafft werden und nicht akzeptiert werden. Allerdings ist hier zu hinterfragen, ob diese Variante nicht an einem scheinbar bestehenden Bedürfnis vorbeigeht.

Möglichkeit 2: Es braucht eine theologische Diskussion um das Amtsverständnis. Die Frage ist, ob sich die Theologie noch mit dem Erleben der Pfarrpersonen deckt, ob für sie in der Ordination wirklich „nichts passiert“ ausser ein Segen, ob das Herausrufen von Pfarrpersonen zu diesem besonderen Dienst nicht eines ist, das doch existenzieller berührt, als das nüchterne reformierte Theologie beschreibt (ohne gleich von ontologischer Wesensänderung sprechen zu müssen).

Möglichkeit 3: Es braucht eine reformierte Diskussion, wie man als Kirche im Gesamten das Kollarhemd neu definiert, sodass es zur bestehenden Amtstheologie passt, also seinen Ausdruck des Weiheamtes verliert und funktional als … ja, als was eigentlich…? Als Amtstracht vielleicht? Jedenfalls mehr funktional statt als Ausdruck eines anderen Standes gesehen wird.

Eins, zwei oder drei. Ob Du wirklich richtig stehst, siehst Du wenn das Licht angeht.

[1] Vgl. https://www.infoflora.ch/de/neophyten/listen-und-infobl%C3%A4tter.html; [13.05.2023].

[2] Bilder dazu finden sich auf der Homepage der Church of Scotland, https://www.churchofscotland.org.uk/home; [14.05.2023], oder auf dem Facebookprofil des Moderators: https://www.facebook.com/ModeratoroftheChurchofScotland; [14.05.2023].

[3] Vgl. Josuttis, Manfred: Der Pfarrer ist anders. Aspekte einer zeitgenössischen Pastoraltheologie, 3. Aufl., München 1987.

[4] Vgl. Karle, Isolde: Der Pfarrberuf als Profession. Eine Berufstheorie im Kontext der modernen Gesellschaft, [Praktische Theologie und Kultur 3], 2. Auflage, Gütersloh 2001.

André Stephany arbeitet als Doktorand und Assistent am Lehrstuhl für Praktische Theologie in Bern. In seiner Dissertation beschäftigt er sich mit der ehrenamtlichen Verkündiung in der Schweiz.

 


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