Ein liturgischer Einspruch

Ein liturgischer Einspruch

«Ministranten drehen Woelki bei Messe in Rom den Rücken zu.»[1] Auch als mit Gottesdiensten befasste Wissenschaftlerin musste ich diese Zeile kurz sacken lassen, ehe sich mir ein inneres Bild von dieser Szenerie auftat. Der Titel eines kurzen Artikels auf Spiegel Online, veröffentlicht am 05. Oktober 2022, verweist auf eine Aktion, die lohnt, in liturgischer Perspektive beleuchtet zu werden.

Miriam Löhr

Um was ging es bei der Aktion? Der aufgrund seines Umgangs mit den Missbrauchsstrukturen in der römisch-katholischen Kirche stark umstrittene römisch-katholische Erzbischof R. M. Woelki hielt in einer Basilika in Rom vor knapp 2000 Messdiener*innen eine Predigt. Ein Teil der jungen Menschen reagierte in liturgisch (und theologisch) nicht vorgesehener Weise: Die Jugendlichen, alle im liturgischen Gewand, stehen während der Predigt auf, statt zu sitzen – und stellen sich umgedreht mit dem Rücken zu Woelki. In einem Videoausschnitt ist zu sehen, dass sie dastehen und schweigen, während andere Ministrant*innen sitzen bleiben, zu Woelki bzw. in Richtung des Chorraums gewandt. Die stehenden Ministrant*innen hingegen schauen in Richtung Tür. Woelki, so ist daraufhin in dem Video zu hören, wendet sich an die Protestierenden: Jesus habe nie einem Menschen den Rücken zugewandt. Zu dieser Bemerkung gäbe es angesichts des Anlasses des Protests vieles zu sagen, weil das Leid vieler Menschen, die innerhalb der römisch-katholischen Kirche Missbrauch erlitten haben, weiterhin strukturell ignoriert wird, ich verzichte aber an dieser Stelle darauf. Vielmehr stelle ich die Frage, ob die Aktion ihrem Anliegen liturgisch «angemessen» war.

Unterbruch oder Wahrung der Form?

Auffällig erscheint mir zunächst, dass die Jugendlichen nicht mit der Form des Gottesdienstes an sich brechen, indem sie beispielsweise mit Trillerpfeifen und Transparenten den Raum stürmen. Sie agieren innerhalb der Form und ihrer Rolle, körperlich, schweigend, ohne das Wort zu ergreifen. Ihre Handlung ist nur (von den Anwesenden vor Ort und im Video) zu sehen, nicht aber zu hören. Die stehenden Jugendlichen tragen ihr Ministrantengewand. Damit unterstreichen sie meines Erachtens ihre Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche, sie nehmen erkennbar am Gottesdienst teil. In ihrem Affront «spielen» sie mit grossem Ernst mit der Form. Der rituelle Vollzug des Gottesdienstes scheint mir nicht durchbrochen, sondern vielmehr kommentiert. Als ritueller «Unterbruch» erscheint in dem Videoausschnitt eher das Applaudieren einiger der sitzenden Ministrant*innen, die damit Woelkis Worten, die er an die Protestierenden richtet, ihren Beifall bekunden. Das Applaudieren erscheint hier als Protest zum Protest. Auffällig sind auch die Irritation und die Unsicherheit, die manchen der Jugendlichen ins Gesicht geschrieben stehen. Offenbar erfordert die Situation, sich zu ihr zu verhalten.

Protest im Gottesdienst

Im Anschluss zu der Begebenheit befragt, problematisiert Woelki insbesondere die Protesthandlung im Gottesdienst.[2] Meines Erachtens finden sich jedoch gute Gründe gerade dafür. Nicht zuletzt in der Tradition der Politischen Nachtgebete als einem (ökumenischen) Beispiel der jüngeren Kirchengeschichte ist genau das propagiert, reflektiert und getestet worden: Wie lassen sich explizit politische Gottesdienste feiern? Wie lässt sich eine – ohnehin nicht mögliche – Trennung von politischer Positionierung bzw. Parteilichkeit von liturgischem Feiern überzeugend und rituell angemessen überwinden? Auch der vermeintlich unpolitische Auftritt Woelkis impliziert eine politische Positionierung, gerade wenn er mit Blick auf die Aktion der Jugendlichen bedauert, «dass man den Gottesdienst dafür nutzt.»[3] Diese Strategie entlarvt der liturgisch verantwortete Protest der Jugendlichen letztlich.

Aushandlung von Machtverteilung

Die Aktion lässt sich als ein «Protest in liturgischer Form» verstehen. Zweifellos ist eine Gottesdienstfeier eine besondere Zeit, mit der umzugehen Bedacht und Umsicht erfordert. Die gewählte Form des Protests zeigt, dass sich die Akteur*innen dessen bewusst sind – sie wahren die Achtung gegenüber dem Ritual und richten sich statt dessen direkt gegen den von ihnen kritisierten Amtsträger: Ja zur Kirche, aber nicht zu diesem Vertreter. Dies zeigt sich auch am Ort des Protestes im Gottesdienst: Die Aktion vollzieht sich während der Predigt, in der der Amtsträger weniger stark in der Rolle des leitenden Liturgs bzw. Priesters fungiert als im Rest der Messe. Es geht also auch um eine öffentliche Aushandlung von (Deutungs-)Macht in kirchenpolitischen Fragen. Umso erstaunlicher, dass den Kritiker*innen mit einem Seelsorgeangebot begegnet werden soll.[4]

Mir ist nicht bekannt, was die Jugendlichen im Vorfeld diskutiert haben und wie sie ihn im Einzelnen begründen. Jedoch erscheint mir ihre Zuwendung zu dem, was von manchen immer wieder «vor die Türe» verwiesen wird, damit der Gottesdienst rein von Störung bleibe, durchaus jesuanisch.

Miriam Löhr ist Postdoc am Institut für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät Bern.


[1] https://www.spiegel.de/panorama/messe-in-rom-ministranten-protestieren-gegen-koelner-erzbischof-woelki-a-659ac9b0-d9a0-4ac5-860f-e8c18f7b1a1c (06.10.2022)

[2] https://www.domradio.de/artikel/kardinal-woelki-trifft-rom-auf-kritische-ministranten (11.10.2022).

[3] So Woelki im Interview mit Domradio.de im Anschluss der Messe, vgl. ebd.

[4] Vgl. ebd.

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