Ersetzen Bibel-Podcasts die Predigt?

Ersetzen Bibel-Podcasts die Predigt?

Während die monologische Predigt an Attraktivität einzubüssen scheint, werden religiöse und religionsbezogene Podcasts immer beliebter. Zudem werden Predigten immer kürzer, religiöse Podcasts dagegen dauern oft eine Stunde und länger. Dieser erstaunliche Sachverhalt ist Grund genug, sich vertieft mit dem Phänomen Podcast im Allgemeinen und mit Bibel-Podcasts im Besonderen zu befassen und danach zu fragen, ob und was die Predigt vom Podcast lernen könnte.

David Plüss

Titelbild des Podcasts Unter Pfarrerstöchtern von Zeit online (Bildschirmfoto: D. Plüss)

Wird der religiöse oder religionsbezogene Podcast zunehmend zum Predigtersatz? Und wie ist die Community, die einem religiösen Podcast folgt und sich einer theologisch versierten und glaubwürdigen Podcasterin verbunden fühlt, zu deuten? Ist sie Kirche? Das sind grosse Fragen. Zu gross für einen Blog. Ich werde kleinere Brötchen backen, indem ich frage: Was zeichnet einen erfolgreichen Podcast aus und was ist von der typischen Podcast-Kommunikation für Predigt und Gottesdienst zu lernen? Und welches sind die Trümpfe der Predigt?

Eigenschaften eines erfolgreichen Podcast

Erfolgreiche Podcasts (und solche, die ich gerne höre) zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus:

  • Sie sind erwartbar und überraschend zugleich. Sie verbinden eine weitgehend gleichbleibende Rahmung, inhaltliche Ausrichtung und personelle Besetzung mit überraschenden und unabsehbaren Gesprächsgängen.
  • Zum Erwartbaren und Vertrauten gehören Titel und Thematik: Im Podcast Unter Pfarrerstöchtern geht es um Bibeltexte, im Podcast Beziehungskosmos geht es um Beziehung, in Ukrainecast geht es um den Ukraine-Krieg und in Die sogenannte Gegenwart um Gegenwartsfragen. Damit werden bestimmte Gruppen angesprochen und ein bestimmtes Interesse geweckt.
  • Podcasts werden verlässlich von denselben Podcaster:innen – zwei oder drei, teils im Wechsel – bespielt, deren Stimmen einem ins Ohr kriechen und zunehmend vertraut werden. Die Zuhörenden bauen, so sagt uns die Medienwissenschaft, eine parasoziale Beziehung auf zu ihnen.[1] Diese wird auch dadurch ermöglicht und genährt, dass sich die Podcaster:innen als Personen zeigen, sich ins Spiel bringen und positionieren.
  • Vertrautheit soll auch die Liturgie oder Rahmung schaffen: der Jingle zu Beginn, das immergleiche Intro und die anschliessende locker-freudige Begrüssung, der Rückblick auf die letzte und die Einleitung zur aktuellen Folge. Dann geht’s los mit der dialogischen Erkundung des jeweiligen Themas und endet mit der Bitte um Kommentare, einer Verabschiedung der Zuhörerenden und dem Outro.
  • Die jeweiligen Themen der einzelnen Folgen hingegen wechseln und die inhaltlichen Verläufe der Gespräche sind unabsehbar. Spannend für die Zuhörenden ist der Gesprächsverlauf auch deshalb, weil die Podcaster:innen zwar vorbereitet sind, aber sich der genaue Verlauf erst im Vollzug ergibt, Seiten- und Abwege möglich sind und Stolpern auch.
  • Zur Beliebtheit trägt offenbar auch die Regelmässigkeit bei: Jede Woche oder alle zwei Wochen erscheint eine neue Folge. Obwohl das Hören von Podcasts jederzeit möglich ist und unterbrochen werden kann, wird das verlässliche Erscheinen geschätzt.
  • Was die meisten Podcasts auszeichnet, ist die Rhetorik des Dialogs. Podcasts sind Gespräche, Interviews, Kontroversen, Wettstreite um detailliertere Kenntnisse, klügere Analysen, plausiblere Einwände, witzigere Pointen.
  • Daraus ergeben sich Rollenangebote (role models), mindestens zwei, die ausprobieren kann, wer einem Podcast folgt.
  • Sich spontan entwickelnde Dialoge suggerieren zudem eine Natürlichkeit und Alltagsnähe.
  • Gleichzeitig ist es aufgrund der Länge von Podcasts möglich, ein Thema in seiner Komplexität gesprächsweise auszuloten, in die Tiefe zu gehen, Differenzierungen vorzunehmen und Ambivalenzen zu thematisieren.
  • Die Aufnahmetechnik von Podcasts ermöglicht zudem eine hohe Audio-Qualität.
  • Daraus resultiert der Eindruck einer grossen Nähe. Ich höre die Podcasterin so, als sässe sie unmittelbar neben oder vor mir.
  • Wichtig dürfte zudem die Möglichkeit sein, auf Podcasts zu reagieren: mit Kommentaren zum Gesagten und Anregungen für weitere Folgen. Auch wer diese Möglichkeit nicht nutzt, fühlt sich angesprochen. Die Einwegkommunikation wird zumindest potenziell durchbrochen.

Bibel-Podcasts

Wenn wir auf religiöse und religionsbezogene Podcasts blicken, bieten sich für einen Vergleich mit der Predigt insbesondere solche an, die sich mit Bibeltexten befassen: Unter Pfarrerstöchtern von Zeit online, wo Sabine Rückert und Johanna Haberer die ganze Bibel (!) von der Schöpfung bis zur Apokalypse des Johannes durchgehen, indem sie im Zweiwochenrhythmus die grossen Geschichten und Texte der Bibel nacherzählen, zitieren, und sowohl historisch-kritisch als auch in ihrem Bezug zur Gegenwart ausleuchten.[2] Die Staffel über die grossen Bibeltexte des Podcasts Ausgeglaubt von Stephan Jütte und Manuel Schmid vom RefLab Zürich[3] kommt ebenso in Betracht wie Data over Dogma des Bibelwissenschaftlers Daniel McClellan und des atheistischen Podcasters Daniel Beecher[4].

Was folgt daraus für die Predigt?

Aus der skizzierten Bauanleitung für einen erfolgreichen Podcast folgt nicht, dass die Predigt durch einen Bibel-Podcast zu ersetzen wäre. Die Predigt ist eine Predigt und der Podcast ist ein Podcast. Der Podcast passt nicht so recht auf die Kanzel und die Kanzelrede eher schlecht als recht ins Podcast-Format. Gleichwohl lässt sich vom Erfolg von Bibel-Podcasts für die Predigt Einiges lernen. Und zwar Folgendes:

  • Biblische Texte und Themen sind nicht aus der Zeit gefallen, sondern für viele Zeitgenoss:innen noch immer – oder wieder neu! – interessant und es wert, sich damit zu befassen. Für die Darstellung, historische Erläuterung und gegenwartsbezogene Auslegung eines Textes darf sich die Predigerin auch Zeit lassen, sofern die Erörterung verständlich und ansprechend erfolgt.
  • Das Dialogische, der sich gesprächsweise ergebende Verlauf und das damit steigende Risiko des Scheiterns erhöhen die Spannung. Dieser Aspekt könnte für die frei gehaltene Predigt oder den nur in groben Zügen vorbesprochenen Predigt-Dialog mit zwei oder mehr Beteiligten in Anschlag gebracht werden. Zumindest aber folgt daraus, dass eine Predigt an Attraktivität gewinnt, wenn Spannungen bewusst aufgebaut und ausgehalten werden, ohne sie frühzeitig wieder aufzulösen und als Scheinspannungen zu demaskieren.
  • Erfolgreiche Podcasts unterstreichen darüber hinaus den homiletischen Grundsatz, wonach die Lesbarkeit der Predigerin und ihre authentische Verbundenheit mit der Message der Predigt von erheblicher Bedeutung sind.
  • Nur zuhören ist in Ordnung. Man muss nicht immer selbst quatschen, um inhaltlich beteiligt zu sein.

Was könnten Prediger:innen darüber hinaus von Podcasts lernen? Und was bitte nicht? Fallen Ihnen noch weitere Punkte ein, die hier zu ergänzen wären? – Dieser Blog hat eine Kommentarfunktion. Über Einträge würde ich mich freuen.

 

[1] Als parasoziale Beziehung wird in der Medienwissenschaft eine einseitige und imaginierte Beziehung zwischen Mediennutzenden einerseits und einem Fernsehmoderator, einer Schauspielerin oder einem Podcaster andererseits bezeichnet, die von professionellen Medienakteur:innen gezielt hergestellt und gepflegt wird.

[2] Vgl. URL: https://www.zeit.de/serie/unter-pfarrerstoechtern (22.04.2024)

[3] Sie wurden auf RefLab im Zeitraum von 18.08.2021 bis 24.11.2021 ausgestrahlt (vgl. URL: https://www.reflab.ch/category/podcasts/ausgeglaubt/page/6/ (01.03.2024).

[4] Vgl. URL: https://open.spotify.com/show/1KKyNZlSapgVppDT2jrCBl (01.03.2024).

 

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